Lichtkämpfer, Sonnenfreunde und wilde Nackte
  FKK-Ausstellung / Übersicht 
Zielstellung
Zielstellung und inhaltliches Konzept  

  Heute, zum Ende des Jahrhunderts, gehört FKK zum sommerlichen Alltag nicht nur an vielen Badestellen, sondern auch in den innerstädtischen öffentlichen Parks und Schwimmbädern. Die Inbesitznahme öffentlicher Räume durch die Nackten wird in den Medien zwar in jeder Saison kontrovers diskutiert, aber ernstlich Anstoß wird nicht mehr genommen. Im Gegensatz zur "verhüllten Gesellschaft" des Kaiserreichs, in der Nacktheit in jeder Form als Schamlosigkeit und sittliche Gefährdung betrachtet wurde, hat FKK heute alles Skandalöse verloren.
In der Ausstellung wird die Geschichte der FKK in Deutschland von ihren Anfängen zu Beginn des Jahrhunderts bis in die Gegenwart nachgezeichnet. Im Mittelpunkt stehen die FKK-Praxis und das Selbstverständnis der FKK-Bewegung mit ihren Implikationen, Ambivalenzen und Beschränkungen zwischen "freiem Spiel und Diktatur des Körpers" (M. Andritzky). Die Entwicklung der FKK wird vor dem Hintergrund des fundamentalen Wandels im gesellschaftlichen Umgang mit Nacktheit im Laufe des 20. Jahrhunderts skizziert.
 
Kaiserreich
Die Freikörperkultur entsteht um 1900 im Kontext der Lebensreformbewegung, die eine Erneuerung der gesamten Lebensführung (Ernährung, Kleidung, Wohnung, Gesundheits- und Körperpflege) anstrebt. In Anknüpfung an medizinisch-naturheilkundliche Konzepte, die seit Ende des 18. Jahrhunderts dem unbekleideten "Baden in Licht, Luft und Sonne" eine besondere gesundheitsfördernde Wirkung zuschreiben, wird der nackte Körper als "natürlichster" Ausdruck der Körperlichkeit, "wiederentdeckt". Die Verfechter der Nacktkultur (der Begriff Freikörperkultur wird erst nach dem 1. Weltkrieg gebräuchlich) werten Nacktheit zur eigentlichen sittlichen und 'natürlichen' Lebensweise auf. Den Vorwurf ihrer Gegner, gegen Moral und "gute Sitten" zu verstoßen, kehren sie damit offensiv um. Praktizierte Nacktheit propagieren sie als Mittel der "Befreiung" von einer "krankmachenden" Lebensweise in einer "kranken" Gesellschaft. Nacktkultur versteht sich als ein umfassendes gesell-schaftspolitisches Konzept, das Gesellschaftsveränderung durch Selbstreform anstrebt. Bestandteile der Nacktkulturideologie sind die Verpflichtung zu einer "naturgemäßen" Lebensweise (Vegetarismus, Abstinenz, Mäßigung) und eugenische und rassenhygienische Vorstellungen zur 'Formung eines gesunden Volkskörpers'. In der Praxis wird Nacktkultur größtenteils nach Geschlechtern getrennt und nicht völlig entblößt betrieben - Männer tragen die 'Sonnenbadehose', Frauen das 'Luftbadekleid'. Nur in wenigen Vereinigungen wird der radikale Schritt zur gemeinsamen Nacktheit beider Geschlechter getan.
 
Weimarer Republik
Seit Beginn der Weimarer Republik kann die FKK-Bewegung zunehmend offensiv agieren. Zahlreiche Vereine entstehen, die das gesamte politische Spektrum der Weimarer Republik widerspiegeln und unterschiedliche Konzeptionen von FKK verfechten. Eine umfangreiche Publizistik propagiert, von Verboten und Zensur weitgehend unbehelligt, die Ziele der Freikörperkultur. FKK wird zu einer Massenbewegung, die am Ende der Republik circa 100.000 organisierte Anhänger zählt. Neben reichsweiten FKK-Verbänden mit ihren Ortsgruppen und den lokalen Vereinen entsteht eine touristische Infrastruktur, die auch nicht organisierten FKK-Anhängern Möglichkeiten für Freizeit- und Urlaubsaufenthalte im 'Lichtkleid' bietet.
 
Nationalsozialismus
Nach der Machtübernahme der Nazis wird die FKK-Bewegung per Erlaß nominell verboten. Das Verbot trifft in aller Härte die proletarischen FKK-Vereine. Die meisten bürgerlichen FKK-Vereine wählen den Weg der freiwilligen Selbstgleichschaltung: Nach Ausschluß derjenigen Mitglieder, die fortan als 'Nicht-Arier' und/oder als politische Gegner des Nationalsozialismus gelten, schließen sie sich im 'Kampfring für völkische Freikörperkultur' (ab 1934 'Bund für Leibeszucht') zusammen. Ideologisch betont der 'Bund' von Anfang an seinen besonderen Beitrag für die 'rassische, gesundheitliche und sittliche Hebung der Volkskraft'. Aber erst mit der verstärkten Aufmerksamkeit für Körperertüchtigung im Zusammenhang mit der angestrebten "Wehrhaftmachung" des deutschen Volkes ab 1935 wird FKK zunehmend durch staatliche und parteiamtliche Stellen anerkannt und gefördert. Besondere Unterstützung und Wertschätzung erfährt die FKK durch die SS, die auf persönliche Initiative Himmlers die Weiterarbeit des 'Bunds für Leibeszucht' bis zum Frühjahr 1945 ermöglicht.
 
BRD
Nach dem Verbot des 'Bunds für Leibeszucht' durch die Alliierten werden in den westlichen Besatzungszonen FKK-Vereine ab 1946 nach und nach wieder zugelassen. In den ersten Jahren der BRD verbleibt die FKK im gesellschaftlichen Abseits. Das repressive Klima der 'Ära Adenauer' äußert sich unter anderem im rigorosen Kampf gegen "Schmutz und Schund" und jede Form von Nacktheit. Erst mit dem fundamentalen Wandel im Umgang mit Nacktheit in Medien und Alltagspraxis gewinnt FKK ab Mitte der 60er Jahre eine bislang ungeahnte gesellschaftliche Akzeptanz. FKK wird nun zu einer unorganisierten Massenbewegung. Sie wird zunehmend nicht nur als Urlaubsvergnügen praktiziert, sondern erobert sich als sommerliche Freizeitbetätigung zunehmend Räume in den Naherholungsgebieten und städtischen Grünanlagen jenseits der für FKK freigegebenen Gelände. In der organisierten FKK-Bewegung werden die lebensreformerischen Positionen des alten Nudismus weitgehend marginalisiert. Die Vorstellungen von FKK als einer umfassenden Lebensweise mit kultur- und gesellschaftspolitischen Zielsetzungen werden durch ein Selbstverständnis als 'gesundes', gemeinschaftsförderndes Freizeitvergnügen zur Familienerholung und sportlichen Betätigung ohne weiterreichenden Anspruch ersetzt.
 
DDR
In der DDR entwickelt sich FKK zu einer Massenbewegung, die alle Altersgruppen und Bevölkerungsschichten umfaßt. FKK ist an dafür freigegebenen Badestellen erlaubt, die Bildung von FKK-Vereinen bleibt hingegen verboten. Schon seit den 50er Jahren breitet sich FKK auch jenseits der freigegebenen Gelände aus. Anfänglich immer wieder behindert, zum Teil auch strafrechtlich belangt, werden die 'wilden' FKK-Anhänger schließlich geduldet, zahlreiche 'wilde' Badeplätze legalisiert. Mit dem Verblassen tradierter bürgerlicher Moralvorstellungen, insbesondere in Fragen der Sexualmoral, wird FKK ab Mitte der 60er Jahre für viele Bürgerinnen und Bürger zu einem selbstverständlichen Bestandteil ihrer Freizeitkultur. Ende der 80er Jahre zeigt sich an den meisten Badestellen ein äußerst uneinheitliches Bild. Jeder und jede badet so, wie er und sie es will und für richtig hält, nackt oder in Badekleidung.

 Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft e.V. - Startseite (ohne Frame) - Übersicht/Sitemap - Aktualisierung: 16.07.2003

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