Memorandum für die Gründung eines Instituts für Sexualwissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin, 1991 |
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Präambel | ||||
Aufgaben I. Forschung - II. Lehre - III. Praxis | ||||
Ausstattung I. Personelle Ausstattung - II. Sächliche Ausstattung - III. Räumliche Ausstattung | ||||
UnterzeichnerInnen | ||||
M E M O R A N D U MDie Unterzeichnerinnen und Unterzeichner bitten den Hohen Akademischen Senat, in der Nachfolge des von Magnus Hirschfeld gegründeten Instituts für Sexualwissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin im Bereich der Sozialwissenschaften ein Institut für Geschlechter- und Sexualforschung einzurichten. PräambelDie Geschichte der Sexualwissenschaft vor 1933 ist eng mit Berlin verbunden. Hier legte Iwan Bloch 1907 das erste Programm des sich neu formierenden Faches Sexualwissenschaft vor; hier arbeiteten die Sexualforscher Albert Eulenburg (1840-1917), Albert Moll (1862-1938) und Max Marcuse (1877-1963), die Frauenrechtlerinnen Helene Stöcker (1869-1943), Adele Schreiber-Krieger (1872-1957) und die Psychoanalytikerin Karen Horney (1885-1952). Helene Stöcker begründete mit Max Marcuse 1905 die Zeitschrift "Mutterschutz", die sie ab 1908 unter dem Titel "Die neue Generation" allein weiterführte. Im gleichen Jahr gab Hirschfeld die erste Zeitschrift für Sexualwissenschaft heraus, fünf Jahre später wurden hier die ersten Fachgesellschaften gegründet. 1919 eröffnete Magnus Hirschfeld das erste Institut für Sexualwissenschaft; es wurde 1933 von den Nazis zerstört. Seit 1924 getragen von der Magnus-Hirschfeld-Stiftung, war das Institut für seine Zeit ebenso einmalig wie beispielgebend. Es unterhielt u.a. medizinische, psychologische, ethnologische Abteilungen, eine Ehe- und Sexualberatungsstelle und beherbergte mit dem Wissenschaftlich-humanitären Komitee eine Institution, die sich beispielhaft für die Rechte homosexueller Frauen und Männer einsetzte. Weitere Schwerpunkte der Arbeit waren die Gleichberechtigung von Frauen, die Familienplanung und die Sexualerziehung. Nach einer Verfügung des Gründers sollte das Institutsvermögen zur Einrichtung eines sexualwissenschaftlichen Lehrstuhls an der Berliner Universität verwendet werden. Dieses Vermächtnis aufzunehmen, wurde nach 1945 sowohl im Westen wie im Osten versäumt. Seit 1982 bemüht sich die Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft in West-Berlin um die Wiedererrichtung des Instituts für Sexualwissenschaft an einer Berliner Universität. Die Gründung eines Instituts für Geschlechter- und Sexualforschung an der Humboldt-Universität zu Berlin wäre auch ein später Akt der Wiedergutmachung, der Würdigung von Leben und Werk des engagierten jüdischen Arztes Magnus Hirschfeld. Zugleich setzte die Humboldt-Universität mit dieser Gründung ein Zeichen der Wiedergutmachung an den wegen ihrer Sexualität im Faschismus verfolgten Frauen und Männern, Einzelnen und Gruppen. Die Entscheidung, jetzt an einer akademischen Einrichtung ein sexualwissenschaftliches Institut neu zu begründen, kann allerdings nicht bedeuten, Sexualwissenschaft im herkömmlichen Sinn fortschreiben zu wollen, das heißt als eine mehr oder weniger vom Geschlechterverhältnis abstrahierende Forschung. Nach 150 Jahren wissenschaftlicher Beschäftigung mit Sexualität ist die Kritik an dieser Forschung gewachsen. Eine Neugründung sollte die Kritik nicht ignorieren, sie vielmehr aufnehmen, neue Perspektiven wissenschaftlich erarbeiten, Akzente setzen, Zielsetzungen aufweisen, also eine innovative Funktion für das Fach wahrnehmen. Eine geschlechtsneutrale Betrachtung der Sexualität ist obsolet, nicht nur, weil es die Sexualität des Menschen nicht gibt, sondern auch, weil das Reden und Schreiben über Sexualität nicht zu lösen ist von der Geschlechtszugehörigkeit der Forscherinnen und Forscher und ihrer daraus sich ergebenden unterschiedlichen Sicht auf Sexuelles. Die Reflexion der geschlechtsgebundenen Optik und die dadurch vermittelten biographischen Gegebenheiten sollen im Rahmen des zu gründenden Instituts als erkenntnistheoretisches Instrument nutzbar gemacht werden. Also kann die Entscheidung zur Neugründung eines sexualwissenschaftlichen Instituts nicht bedeuten, traditionelle Sexualwissenschaft rationalistischer, behavioristischer oder körpermedizinischer Provenienz einfach fortzuschreiben. Auch eine monodisziplinäre Sexualforschung führt zu einer Verengung der Perspektiven und verliert sich in Sackgassen. Bestimmend für die Arbeit des Instituts ist die Erkenntnis, daß die Geschlechterverhältnisse gesellschaftlich konstruiert und durch soziale, ökonomische, kulturelle und andere Bedingungen patriarchal und hierarchisch strukturiert sind. Neue Einsichten in das Verhältnis der Geschlechter lassen sich nur gewinnen, wenn die gesellschaftliche Konstruktion der Zweigeschlechtlichkeit und die Bedingungen struktureller Gewalt in den Mittelpunkt der Forschungen gestellt werden. Aus dieser Sicht ist die Anbindung des Instituts an den Fachbereich Sozialwissenschaften zwingend. Mit diesem Verständnis von Geschlechterverhältnis und Sexualität stellt sich das Institut einer aktuellen Problemlage. Es soll mit seiner Arbeit Grundlagen schaffen, um sexuelle Beziehungen und die aus ihnen folgenden und mit ihnen einhergehenden sozialen Konflikte sowie deren Diskursivierungen reflektieren zu können. Ein wichtiges Interesse dabei ist, das sexuelle Macht- und Gewaltpotential zwischen Männern und Frauen, zwischen Mehr- und Minderheiten sowie Angehörigen verschiedener kultureller Traditionen offenzulegen. Das wachsende Interesse an diesen Fragen drückt sich u.a. in der Einrichtung einer Vielzahl von Beratungs- und Selbsthilfegruppen sowie freier Forschungsprojekte aus. Deren Engagement darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß ihre Möglichkeiten zu eigener Forschung beschränkt sind, daß sie dem sich abzeichnenden Theoriebedarf nicht gerecht werden können und ihre Arbeitsbedingungen insgesamt für wissenschaftliche Aufgaben zumeist unzureichend sind. A. AufgabenI. Forschung - II. Lehre - III. Praxis Aus dem Ziel, Sexualität im Rahmen des historischen, politischen und sozialen Geschlechterverhältnisses zu erklären und zu begreifen, ergeben sich die folgenden Schwerpunkte für die Arbeit des Instituts:
I. Forschung
II. LehreDas Institut für Geschlechter- und Sexualforschung soll folgende Lehre anbieten:
zu 1. zu 2.
zu 3.
Das Institut für Geschlechter- und Sexualforschung strebt keinen eigenen, grundständigen Studiengang und -abschluß an. Die Möglichkeit, im Rahmen eines Aufbaustudiums am Institut eine Zusatzqualifikation zu erwerben, soll offengehalten werden. III. PraxisArt und Umfang von Beratung und Psychotherapie ergeben sich aus den Aufgaben in Forschung, Lehre und Supervision. Dabei ist zu bedenken, daß einige der genannten Aufgaben in der Forschung nicht ohne eigene Beratungs- bzw. Psychotherapiepraxis wahrgenommen werden können. Auch Fortbildung und Supervision können nicht ohne solche Erfahrungen angeboten werden. B. AusstattungI. Personelle Ausstattung - II. Sächliche Ausstattung - III. Räumliche Ausstattung I. Personelle Ausstattung
Bei der Stellenbesetzung ist zur Realisierung der vorn aufgeführten Ziele unumgänglich, daß jeder Forschungsschwerpunkt geschlechterparitätisch besetzt ist. Wegen der angestrebten Interdisziplinarität und der angestrebten Kooperationsbeziehungen mit selbständigen Projekten müssen (unabhängig von ggfs. einzuwerbenden Drittmitteln) ausreichende Mittel für die befristete Besetzung von Gastprofessuren und -dozenturen bzw. ProjektmitarbeiterInnen zur Verfügung stehen. II. Sächliche AusstattungNeben der Grundausstattung mit Möbeln, Geräten usw. sollten dem Institut im Gründungsjahr zum Aufbau einer Bibliothek DM 100.000,- zur Verfügung gestellt werden, in den folgenden fünf Jahren zusätzlich jeweils DM 20.000,- für Bücher sowie Forschungs- und Dokumentationsmaterial. Pro Haushaltsjahr sollen jeder Abteilung des Instituts mindestens DM 15.000,- garantiert werden, das Institut insgesamt soll darüber hinaus pro Haushaltsjahr über DM 20.000,- an zentralen Mitteln verfügen. III. Räumliche Ausstattung
Im Hinblick auf die historische Arbeit des Instituts wäre es wünschenswert, der Bibliothek zusätzlich zu den Forschungsschwerpunkten einen Sammelschwerpunkt bei den einschlägigen Schriften der zweiten Hälfte des 19. und des ersten Drittels des 20. Jahrhunderts zuzuordnen, insbesondere aus dem Umfeld des früheren Hirschfeld-Instituts.
aus: Mitteilungen der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft, Nr. 17, Dezember 1992 |
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