Forensik - Unzüchtige Handlungen
  Der Schuldirektor Otto Helmer wird im Jahr 1926 angeklagt, an mindestens 5 seiner Schüler "unzüchtige Handlungen" vorgenommen zu haben. Das Institut für Sexualwissenschaft nimmt ihn für mehrere Monate auf zwecks "Beobachtung seines Geisteszustands" und "spezialärztlicher Behandlung"  1 .

In dem Prozeß wird Helmer, obgleich "objektiv der Tatbestand des § 174 StGB" festgestellt wurde, freigesprochen. In der Urteilsbegründung stützt sich das Gericht auf die Gutachten der Sachverständigen Hirschfeld und Leppmann:

"Beide Sachverständige sind sich darüber einig, dass die körperlichen Berührungen der Schüler, die eigentlich nur schüchterne Ansätze zu homosexuellen Handlungen darstellten, doch einer angeborenen psychischen Einstellung hierfür entspringen, und daß Helmer gleichgeschlechtlich veranlagt ist. ...

Beide stimmen auch darin überein, dass in solchem Falle die Zurechnungsfähigkeit nicht allein von der geschlechtlichen Artung, sondern von der allgemeinen seelischen Artung des Täters abhänge. In diesem Sinne ist es von Bedeutung, dass sein geschlechtliches Verhalten nicht nur durch die Neigung zum gleichen Geschlecht, sondern durch das Zurückbleiben auf kindlich unterentwickelter Stufe charakterisiert ist. (Sogenannter psycho-sexueller Infantilismus) ...

Dr. Hirschfeld schliesst nun auf den positiven Ausschluss der freien Willensbestimmung im Sinne des § 51 StGB durch die krankhafte Störung der psychischen Funktionen, wie sich durch das Zusammentreffen seines homosexuellen Triebes mit dem starken senilen Rückgang seiner seelischen Widerstandsfähigkeit verursacht ist. Hätte der Angeklagte gegenüber seiner triebhaften Veranlagung, die er etwa 40 Jahre seines Lebens habe beherrschen können, noch eine Spur von eigener Willensbeherrschung gehabt, so wäre es bei seinem sonstigen Charakter nicht zu strafbaren Handlungen gekommen. ...

So schwer es dem Laien fallen mag, in einem solchen Falle wie diesem an die Zurechnungsunfähigkleit des Täters im Sinne des § 51 StGB zu glauben, so konnte sich doch das Gericht den Ausführungen der Sachverständigen nicht verschließen. Es handelt sich um einen Grenzfall...
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