Von schwulen Ratten und anderem Getier
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Von schwulen Ratten und anderem Getier
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Ralf Dose

Ralf Dose

Von schwulen Ratten und anderem Getier

VON RALF DOSE
(aus: Magnus 2.1990, H.9, S. 66-67)

Unter dem bombastischen Titel "3rd International Berlin-Conference for Sexology" fand im Juli eine Veranstaltung statt, von der öffentlich wenig mehr bekannt wurde, als daß man jetzt wisse, wie Homosexualität entsteht. Das ist weder neu, noch wird es durch Wiederholung richtiger. Auf die nur für Fachleute (wenn überhaupt) interessanten Vorträge im einzelnen einzugehen, erübrigt sich hier. Viel spannender ist es, den Hauptakteur dieses Kongresses einer näheren Betrachtung zu würdigen: Günter Dörner.

Im Grunde ist es ganz einfach. Günter Dörner, bekanntlich Endokrinologe (Hormonforscher) an der Charité in Ost-Berlin, gibt - grob vereinfacht - folgende Erklärung: Bei Ratten entsteht "Homosexualität" (Dörner spricht neuerdings von "heterotypischem" Sexualverhalten) durch bestimmte "unphysiologische" Hormonkonzentration im Mutterleib vor bzw. während der Geburt. Das führt zu einer männlichen bzw. weiblichen Differenzierung des Gehirns und später zu "typisch weiblichem" Verhalten der Männer und "typisch männlichem" Verhalten der Weibchen. Ausgelöst werden kann der veränderte Hormonspiegel bei schwangeren Rättinnen z. B. durch Streß. Bei ihrem Nachwuchs hat das dann zur Folge, daß die Männchen sich ducken und bespringen lassen und die Weibchen andere Tiere bespringen. Fertig ist die homosexuelle Ratte.

Auch schwangere Menschenweibchen können anormale Hormonspiegel haben, wenn sie unter Streß geraten. Krieg z. B. ist Streß für werdende Mütter. Woraus etwa folgt, daß unter den jungen Vietnamesen Schwule bzw. Lesben recht häufig sein müßten. Frieden dagegen ist für den schwul-lesbischen Nachwuchs ungünstig. Zum Glück hat es in den letzten Monaten in der DDR (nicht nur) für schwangere Frauen viel Streß gegeben - ich danke John DeCecco für diesen Hinweis und komme in sechzehn Jahren darauf zurück.

Es wäre trotzdem dumm und kurzschlüssig, in Günter Dörner einen Schwulenhasser zu sehen, der uns wegspritzen (lassen) will. So etwas hat er früher einmal laut überlegt - man könnte werdenden Müttern mit atypischen Hormonverhältnissen prophylaktisch eine passende Spritze geben zur Verhütung homosexueller Kinder, wenn sie diese denn nicht haben möchten. Daß das theoretisch möglich wäre, behauptet er noch heute. Aber seit einiger Zeit propagiert er gleichzeitig vehement, daß Homosexualität keine Entwicklung mit Krankheitswert sei, im Gegenteil: Schwule und Lesben sind für ihn weil natürliche Variante - als gleichwertige und -berechtigte Menschen gesellschaftlich zu akzeptieren. Und er reklamiert die jetzige Rechtssituation der Schwulen/Lesben in der DDR als sein Verdienst.

Schließlich konnte er am Ende seines Kongresses auch noch mit einem Referenten aufwarten, der in einer internationalen Vergleichsstudie bestätigt gefunden haben wollte, daß Menschen, die von der biologischen Grundlage der Homosexualität überzeugt sind bzw. darüber aufgeklärt wurden, sich toleranter über Homosexuelle äußern. Na wunderbar. Da macht es auch gar nichts, daß das methodische Konzept - soweit man das nach 10 Minuten Referat beurteilen kann - etwas dünn war.

Dennoch: Es wird langweilig, immer wieder die gleichen Argumente auffahren zu müssen, nur weil Herr Dörner nichts lernt und die Presse die einfachen Erklärungen so liebt: Die Identifikation des "weibliches" Sexualverhalten zeigenden (Ratten-)Männchens mit "homosexuell" ist halt definitorischer Blödsinn. Was ist denn eigentlich das Männchen, daß aufgrund "normal" verlaufender Schwangerschaft der Mutter ein männlich differenziertes Gehirn hat und eine solche sich duckende Rattentunte bespringt? Ein Kerl?

Die an den Ratten orientierte Forschung kann nicht unterscheiden zwischen "Objektwahl" (Dörners Ratten haben keine Wahl) und "Sexualverhalten". Dazu braucht Dörner Herrn Leon Kaplan. Der hat herausgefunden: Bei Menschenweibchen liegt die kritische Phase der Gehirndifferenzierung zwischen der 13. und 15. (sexual preferences) sowie der 20. bis 24. Schwangerschaftswoche (pattern of sexual behaviour). Da werden unter dem Einfluß der Hormone diverse Nukleine unsere Gehirne "weiblich" bzw. "männlich" strukturiert, und dann ist es halt passiert.

Das Problem ist nicht, daß Dörner schwule und lesbische Ratten züchtet. Vielleicht macht's den Tierchen ja Spaß. Daß er Kritiker seiner Theorie mit ziemlich durchsichtigen Manövern im Vorfeld des ursprünglich in ganz anderer Konstellation geplanten Kongresses draußen zu halten verstand: das hält sich gerade noch im Rahmen wissenschaftlich zulässiger, weil üblicher Dummheit. Zur Vermeidung einer Gegendarstellung: John DeCecco durfte auf dem Rattenkongreß seine Philippika gegen diese Art der Forschung halten - er war extra dafür eingeladen worden. Nur zugehört hat ihm keiner. Daß ihm von den zugestandenen 45 Minuten Redezeit über die Hälfte klammheimlich hatte gestrichen werden sollen - nein, wir regen uns jetzt gar nicht mehr auf, wir bleiben ganz ruhig.

Skandalös aber ist, daß ein Leon Kaplan, dessen krude Thesen neuerdings bunt und populärwissenschaftlich verpackt als "Mona-Lisa-Syndrom" den Weg auf den deutschen Buchmarkt gefunden haben, dort an prominenter Stelle als Dörners Kronzeuge auftreten durfte. Seine Ergebnisse über die hormonstatusabhängig männlich bzw. weiblich strukturierten Nukleine in unseren Gehirnen hat der teuflische Kaplan nämlich (nach eigener Aussage) an zum Tode verurteilten Insassen malaysischer Gefängnisse bestätigt gefunden: Vor und nach der Exekution. Das verbirgt sich hinter dem Halbsatz im "abstract" seines Vortrages "....age-matched groups of deceased homo- and heterosexuals". Ein Kaplan, der den TodeskandidatInnen erst die Beichte ihres Sexuallebens und später dann die Köpfe abnimmt: Die grausige Realität ist der Satire weiter voraus, als es Karl Kraus jemals befürchtet hat.

Wer sich aber wie Dörner zum Komplizen dieses Mordbuben macht, indem er dessen Ergebnisse ohne ein einziges kritisches Wort als Bestätigung der eigenen Arbeit auffaßt, den nenne ich so lange selbst einen Mordbuben, bis er sich von dessen Methoden öffentlich distanziert hat und auf die weitere Heranziehung der Ergebnisse verzichtet. Ich lehne es ab, über die "Wissenschaftlichkeit" solcher Befunde zu diskutieren. Und die Ratten rufe ich zum Boykott weiterer Forschungen auf.

Literatur zum Weiterlesen:
Does Peace Prevent Homosexuality? Letter to the Editor. By Gunter Schmidt and Ulrich Clement Archives of Sexual Behavior 19.1990, H. 2, S. 183-187

Friedemann Pfäfflin: Neuroendokrinologiscbe Forschungsergebnisse und Sexualwissenschaft. Zur Vorgeschichte eines Konflikts. Zeitschrift für Sexualforschung 3.1990, H. 1, S. 54-74

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